Himmelsmechanik: Bahnelemente und Ephemeriden
In den vergangenen drei Teilen dieser Serie haben wir uns mit den Koordinatensystemen und mit der Herleitung der Keplergesetze beschäftigt. Dies ist nun das Rüstzeug um die Bahnelemente und die Ephemeriden von Planeten oder auch von anderen Objekten zu bestimmen. Dazu schauen wir uns mal konkret die Stellung der Venus am 11.06.2016 um 13:30 Uhr an. Dazu wurde eigens ein Matlab-Skript zum besseren Nachvollziehen der Ergebnisse erstellt, welches heruntergeladen werden kann.
Die keplerschen Bahnelemente
In der Abbildung sind folgende Bahnelemente definiert:
Aphel (sonnenfernste Punkt) | |
Perihel (sonnennächster Punkt) | |
Mittelpunkt der Ellipse | |
große Halbachse | |
numerische Exzentrizität | |
Inklination der Bahnebene zur Referenzebene | |
Radiusvektor | |
Winkel zwischen Perihel und Radiusvektor (wahre Anomalie) | |
☊ | aufsteigender Knotenpunkt (Schnittpunkt zwischen Bahn- und Referenzebene) |
☋ | absteigender Knotenpunkt (Schnittpunkt zwischen Bahn- und Referenzebene) |
Winkel zwischen Frühlingspunkt und Schnittfläche der Referenzebene | |
Perihellänge | |
Frühlingspunkt | |
Argument der Periapsis |
Die Referenzebene kann jede Ebene sein, wir gehen in den folgenden Überlegungen von der Ekliptikebene aus.
Bestimmung des Ortes
Um nun die Position eines Planeten oder eines Objektes auf der elliptischen Bahn zu bestimmen, sind einige geometrische Überlegungen erforderlich.
Zuerst zerlegen wir nun den Radiusvekor in seine x- und y-Komponenten. Es ergibt sich:
(1)
Wenden wir nun einen Trick an. Um die Ellipsenbahn denken wir uns einen Hilfskreis mit dem Radius . So können wir alle Berechnungen als Kreisbewegungen annehmen. Das fiktive Objekt auf dieser Kreisbahn wird auch mittleres Objekt
genannt. Die exzentrische Anomalie ist der Winkel vom Mittelpunkt der Ellipse bzw. des Kreises zu
. Betrachtet man die Ellipsengleichung als Funktion der exzentrischen Anomalie, so ergibt sich folgender Zusammenhang:
(2)
Den Stauchungsfaktor vereinfachen wir:
(3)
Es lässt sich nun der Radiusvektor bestimmen:
(4)
Einfacher ist es, wenn man den Radiusvektor in seine Komponente zerlegt. Dann resultiert durch den Satz des Pythagoras der Betrag des Radiusvektors:
(5)
Die Vektoren und
sind jeweils die Einheitsvektoren.
Aus der Gleichung (2) entsteht ein neuer Winkel . Dieser beschreibt den Winkel von der x-Achse zu dem fiktiven Objekt
, welche man auch die exzentrische Anomalie nennt. Da wir dieses als Kreis annehmen, vereinfachen sich die Berechnungsgänge wesentlich. Betrachten wir uns nochmal den Betrag des Richtungsvektores
:
(6)
Um nun für zu einem bestimmten Zeitpunkt zu bestimmen, wenden wir das zweite Keplersche Gesetz an, welches besagt, das zu gleichen Zeiten gleiche Flächen überschritten werden. In der obigen Abbildung ist die hervorgehobene Fläche:
(7)
wobei die verstrichene Zeit seit dem Periheldurchgang und
die Umlaufzeit darstellt. Die Fläche
ist um den Faktor
gestaucht. Subtrahieren mit der Dreiecksfläche
bringt:
(8)
Nach Gleichsetzten von (7) und (8) entsteht die Keplergleichung:
(9)
wobei die mittlere Anomalie ist.
Die Lösung der Keplergleichung
Die Gleichung (9) ist nicht analytisch lösbar, da diese Gleichung transzendent ist. Doch wie löst man nun effektiv diese Gleichung? Hier soll uns die numerische Mathematik einen Lösungsansatz liefern. Im wesentlichen sind hier das Iterationsverfahren und die Reihenentwicklung zu nennen. Das Iterationsverfahren eignet sich für kleine numerischen Exzentrizitäten bis zu einem Wert 0,5 sehr gut. Ist die numerische Exzentrizität größer als 0,5, ist das Konvergenzverhalten sehr langsam. Im folgenden wollen wir nun das Iterationsverfahren mal genauer ansehen:
(10)
Die Iteration wird abgebrochen, wenn kleiner als der vorgebende Wert ist.
Für wählt man einen ähnlichen Ansatz:
(11)

Das folgende Listing wurde mit Matlab geschrieben und als Funktion kepler deklariert. Die Eingangsvariablen ist die mittlere Anomalie und die numerische Exzentrizität
. Ist
oder 150 Iterationsschritte erledigt, so wird die Schleife beendet. Die Funktion gibt als Ausgangsvariable den Winkel
aus. Am Ende dieses Beitrages können alle Matlab-Files heruntergeladen werden.
%% Die Funktion ‚kepler‘ berechnet die
%% Keplergleichung E=M+sin(E0) mit Hilfe
%% des Newton-Näherungsverfahrens.
%% skywatch-blog.de
function E=kepler(M,e)
E0=M;
for i=1:150;
E=M+e.*sin(E0);
if abs(E-E0)<=10^-20
break
end
E0=E;
end
return
Berechnung der wahren Anomalie
Um von den Winkel , also den Winkel zwischen Perihel und den Aufenthaltsort auf der Umlaufbahn berechnen zu können, müssen wir vom Hilfskreis wieder in die die Ellipse transformieren.
(12)
Eine alternative Formel welche wir im folgenden Beispiel verwenden werden, lautet:
(13)
Nun haben wir das Rüstzeug zusammen um z.B. die Ephemeriden eines Planeten zu berechnen. Das folgende Verfahren kann auf beliebige Himmelsobjekte angewendet werden.
Ephemeridenrechnung: Beispiel am Planeten Venus
Im folgenden wollen wir die Stellung der Venus am 11.06.2016 um 13:30 Uhr sowie den Abstand von der Erde berechnen. Als Referenz dienen die Ergebnisse aus Stellarium. Die Bahnelemente können aus astronomischen Jahrbüchern oder alternativ aus der unten verlinkte PDF-Datei entnommen werden. Die folgenden Elemente stammen aus dem Buch von Oliver Montenbruck: Grundlagen der Ephemeridenrechnung. Es gilt die Epoche J2000.0. Die Bahnelemente der Venus lauten:
(14)
Die Variable ist die Länge des Perihels ausgehend vom Frühlingspunkt bis zum Perihel. Es gilt daher:
(15)
Die Variable ist das julianische Jahrhundert. Dieses berechnet sich aus:
(16)
mit die Anzahl der Tage, die seit dem 01.01.2000 vergangen sind.
Schritt 1: Berechnung des julianischen Jahrhundert
Nach (16) berechnet sich für den 11.06.2016 13:30 Uhr ein Wert von .
Schritt 2: Berechnung des Winkel
Der Winkel beschreibt denjenigen Winkel zwischen dem aufsteigenden Knotens und Perihels. Stellt man Gleichung (15) nach
um, so ergibt sich:
(17)
Schritt 3: Lösen der Keplergleichung
Wir lösen nun die Keplergleichung nach dem Verfahren wie in (10) beschrieben. Wichtig ist es hierbei, dass alle Werte ins Bogenmaß transformiert werden müssen. Es ergibt sich hier einen Wert für . Der hohe Winkel resultiert aus den Bahnelementen. Möchte man den wirklichen Winkel berechnen, so kann dieser mit modulo 360 ermittelt werden.
Schritt 4: Nun können wir den Radiusvektor nach Gleichung (5) und die wahre Anomalie nach Gleichung (13) berechnen. Es ergeben sich folgende Werte:
(18)
Schritt 5: Nun haben wir die Koordinaten der Venus. An den Vorzeichen erkennt man, im welchen Quadranten wir uns befinden. Als nächstes müssen wir die heliozentrischen ekliptikalen Koordinaten berechnen. Dabei soll uns der Ansatz von Standish (Link, siehe unten) weiterhelfen:
(19)
Es errechnen sich für die Venus folgende Koordinaten:
(20)
Nun haben wir den ersten Teil der Berechnung erledigt.
Schritt 6: Nun muss nach dem gleichen Verfahren, die Erdkoordinaten berechnet werden. Es ergeben sich mit den Bahnelementen der Erde:
(21)
folgende Ergebnisse:
(22)
und folgende Koordinaten:
(23)
Schritt 7: Nun müssen die geozentrisch orthogonale Koordinaten in geozentrisch orthogonale sphärische Ekliptikalkoordinaten transformieren:
(24)
Der Abstand zwischen der Erde und des Planeten ergibt sich wieder aus dem Satz des Pythagoras:
(25)
Für unser Beispiel errechnen sich folgende Werte:
(26)
→ Die Venus ist also am 11.06.2016 um 13:30 Uhr genau 1,7345 AE von der Erde entfernt.
Schritt 8: Nun wollen wir diese Fragestellung beantworten:
Welche Rektaszension und Deklination
besitzt die Venus am 11.06.2016 13:30 Uhr?
Die geozentrische orthogonale Ekliptikalkoordinaten werden nun in geozentrische spährische Ekliptikalkoordinaten transformiert:
(27)
Es wird mit Absicht auf die Funktion (Arkustangens mit zwei Argumenten) zurückgegriffen. Somit braucht sich nicht die Frage zu stellen, in welchen Quadranten man sich aktuell befindet.
Achtung! Die Winkel sind im Bogenmaß. Für unser Beispiel errechnen sich folgende Zahlenwerte in Grad:
(28)
Schritt 9: Das Ziel ist erreicht: Die Rektaszension und die Deklination können wir nun berechnen:
Mit dem Erdneigungswinkel ergeben sich die äquatoriale Koordinaten:
(29)
Auch hier ist die Rektaszension im Bogenmaß angegben. Für unser Beispiel errechnet sich nun folgende Winkel in Grad:
(30)
Ergebnisbewertung
Die Beantwortung der Fragestellung lässt sich folgendermaßen beantworten:
- Die Venus wird am 11.06.2016 um 13:30 Uhr einen Abstand von
besitzen. Damit liegt sie in der Umlaufbahn zwischen Sonne und Erde.
- Die Deklination beträgt
und die Rektaszension beträgt
.
Vergleicht man die Werte mit Stellarium, so ergibt sich eine sehr gute Genauigkeit. Für die Deklination zeigt Stellarium und für die Rektaszension
an. Für den Abstand zeigt Stellarium
Die Abweichungen resultieren deshalb, weil wir die Aufgabenstellung nach wie vor als Zweikörperproblem (ZKP) betrachtet haben. Stellarium wählt hier einen anderen Weg. Das Programm wendet hier die VSOP87-Planetentheorie an. In dieser Theorie sind die Bahnelemente zeitlich veränderlich und beschreiben die Keplerbahn, die mit der tatsächlichen Bahn oskuliert und werden über Potenzreihen berechnet. Als Argument dient hier die Zeit und wird bis zur 5. Potenz und jeweiligen vorkommende Faktoren werden mittels einer Fourierranalyse ermittelt. Somit kann eine höhere Genauigkeit im Ergebnis erzielt werden.
Fazit und Danksagung
Dieser Beitrag war der umfangreichste Teil dieser Serie, denn die Ephemeridenrechnung ist nicht einfach. Das Durchrechnen und die mathematische Modellierung in Matlab hat sehr viel Zeit und Nerven gekostet. Natürlich berechnet heute jedes Astronomieprogramm die Planetenstellung. Dennoch habt Ihr jetzt einen Einblick hinter den Kulissen und wisst nun, was für einen Aufwand hinter diesen Berechnungen steckt.
An dieser Stelle möchte ich auch zwei Danksagungen loswerden, denn mit Ihrer Hilfe habe ich die mathematische Modellierung und die Implementierung in Matlab erst geschafft. Zum einem sind es die Nutzer des Astronomieforums astrotreff.de und zum anderen, Herr Prof. i. R. Dr.-Ing. Helmut Haase, Professor an der Leibnitz-Universtät Hannover. Vielen Dank für die tolle Unterstützung 🙂
Zum Nachvollziehen der Ergebnisse kann man die Matlab-Files herunterladen und selber ausprobieren. Im letzten Teil dieser Serie möchte ich mit den Bahnelementen, die Zeitgleichung besprechen. Dies wird auch der letzte Beitrag zu dem Thema Himmelsmechanik sein. Falls etwas unklar ist oder Ihr Fehler entdeckt habt, lasst es mich wissen.
Literatur
Jean Meeus: Astronomical Algorithmus, Second Edition, Atlantic Books 1998
Karttunen, Kröger u.a. : Astronomie. Eine Einführung, Springer Verlag 1990
Oliver Montenbruck: Einführung in die Ephemeridenrechnung, Springer Verlag 2010
Links
Himmelsmechanik Teil 1: Koordinatensysteme
Himmelsmechanik Teil 2: Störung von Koordinatensystemen
Himmelsmechanik Teil 3: Die Keplerschen Gesetze
Helmut Haase Scilab Lernseite
Thread im Astrotreff.de-Forum zur Fragestellung
Downloads
Matlab-Dateien zum Nachvollziehen der Ergebnisse
E.M. Standish: Keplerian Elements for Approximate Positions of the Major Planets, (pdf-Datei)
In der ersten der Gleichungen 5 sollte die ( hinter dem a, nicht davor stehen!
Korrigiert. Vielen Dank.
Gruß
Daniel